Atlantis..... von Solons Bericht bis heute
Es gibt wohl keinen Ort, der an so vielen Ecken der Welt "gleichzeitig" zu sein scheint wie Atlantis.....

Bild: Terra X Wo lag Atlantis, J-P. Berend E. Schmitz Seite 79

Ach Solon, Solon! Ihr Hellenen seid doch nichts als Kinder - einen Griechen, der alt ist, gibt es nicht...« Mit diesen Worten beklagte »einer der Priester, ein uralter Mann«, um 600 v. Chr. in Ägypten die kindliche Naivität seines griechischen Gastes, wie dieser später selbst berichtete. Solon war in das alte Kulturland am Nil gereist, um dort zu lernen. Aber wie es scheint, verstand er den tieferen Sinn der Erläuterungen seiner durchaus auskunftswilligen ägyptischen Gesprächspartner, vorwiegend wohl lebenserfahrene Tempelpriester, nicht immer so, wie er gemeint war. Vieles nahm Solon wörtlich, was zweifellos nur bildhafte Anspielung auf mystische Erfahrungen war. Und das veranlaßte wohl auch den alten Priester zu seiner etwas mitleidig klingenden Bemerkung, die Griechen seien nichts als Kinder. Nun sind Mißverständnisse zwischen dem Besucher aus Hellas und seinen Gastgebern durchaus verständlich. Der Grieche dachte ganz offensichtlich gegenständlich und logisch, der ägyptische Klerus lebte geistig in einem recht komplexen System mystischer Welten. Das alte Ägypten war ein mächtiges Reich, und das mußte sich auch auf rein rationaler und materieller Ebene bewähren. Dazu gehörten Kontakte zu fremden Ländern. Die Ägypter waren ausgezeichnete Bootsbauer und unternahmen weite Reisen im Mittelmeer und im Roten Meer bis über das heutige Aden hinaus an die Ostküste Afrikas. Sie trieben Handel, gerieten aber auch in kriegerische Auseinandersetzungen. Die Berichte, die an Solon in Ägypten mündlich und auch in schriftlichen Aufzeichnungen herangetragen wurden, waren zweifellos zum Teil mystischer, zum Teil realer Natur. Er, der das eine nicht vom anderen zu trennen wußte, mußte entweder alles als mythologisches Märchen oder alles als irdische Tatsachen verstehen. Er nahm es eben auf wie ein unreifes Kind. Heimgekehrt nach Griechenland, erzählte Solon seinem Freund Dropides, was er in Ägypten erfahren hatte. Der gab die Informationen später an seinen Sohn weiter. Als dieser Sohn das hohe Alter von 90 Jahren erreicht hatte, erzählte er die Geschichten aus dem alten Ägypten seinem gerade neunjährigen Enkel Kritias. Dessen Neffe war der bekannte griechische Philosoph und Schriftsteller Platon, der - von der Natur mit umfassender Neugier gesegnet - von seinem Onkel begierig alles wissen wollte, woran sich dieser aus den mittlerweile schon dreimal mündlich weitergegebenen Berichten aus dem merkwürdigen Land am Nil noch erinnerte. Selbst wenn Solon den mystischen Gehalt der Informationen als solchen erkannt oder geahnt haben sollte, wenn es in der inzwischen fast 300 Jahre langen Überlieferungskette auch nur ein Glied gab, dem mystische Erfahrungen fremd waren, dann ließ sich am Ende Symbolhaftes von Realem gewiß nicht mehr trennen. Derart verwaschen, schrieb Platon kurz vor seinem Tode im Jahre 347 v. Chr. auf rund 20 Seiten in seinem Dialog »Kritias« und einer weiteren, »Timaios« genannten Abhandlung die alten Erzählungen nieder. Seine Aufzeichnungen blieben unvollständig. Sie waren als Trilogie geplant und sollten als dritten Dialog »Hermokrates« umfassen, vor dessen Niederschrift der Philosoph aber leider starb. Platon selbst war Mystiker, und vielleicht sprach ihn die Überlieferung aus Altägypten besonders an, weil er ihren Symbolgehalt ahnte oder gar erkannte. Strabon erwähnte, Platon habe einmal gesagt, er halte es durchaus für möglich, daß in der Erzählung aus Ägypten nicht bloße Erfindung zu sehen sei. Er schien also selbst eine realistische Grundlage nicht auszuschließen, in erster Linie aber an einen Mythos zu glauben. In dem von Platon aufgezeichneten Material geht es inhaltlich um nichts anderes als um das Atlantis-Thema, das noch heute, über zwei Jahrtausende später, viele Gemüter heftig bewegt. Vielleicht gerade deshalb, weil so manches in diesem Stoff symbolhaft zeitlose, mystische Erfahrungen des Menschen ausdrückt und Archetypisches auch in unserer Zeit wachruft. Die inhaltliche Substanz läßt sich gerafft so zusammenfassen:
Jenseits der Säulen des Herakles, als die zu Platons Zeiten die Meerenge von Gibraltar galt - was aber nicht schon drei Jahrhunderte zuvor so gewesen sein muß -, hatte ein mächtiges Imperium gelegen. Es war ein Völkerbund von zehn Königreichen, dessen Zentrum eine kleine Insel, Basileia, im »Atlantischen Meer« gewesen sei. Außerdem beherrschten die Mächtigen dieses Reiches viele andere Inseln, Teile des Festlandes und auch Gebiete im Mittelmeer, in Nordafrika bis Ägypten, in Europa bis Italien.
 »Diese zusammengeballte Gesamtmacht«, berichteten die ägyptischen Priester in der Atlantis-Sage dem Griechen Solon, »unternahm nun einmal den Versuch, euer und unser Land und das gesamte Mittelmeergebiet in einem einzigen Kriegszug zu unterwerfen. In dieser Situation nun, o Solon, zeichnete sich das Kriegsheer eurer Vaterstadt Athen durch Tapferkeit und Tüchtigkeit vor allen Menschen aus. Denn indem Athen in Mut und Kriegskunst alle übertraf, geriet es - zunächst an der Spitze der Griechen, dann notgedrungen auf sich allein gestellt - zwar in äußerste Bedrängnis, siegte aber schließlich über die Angreifer, hinderte sie so, die noch nicht Unterjochten zu unterwerfen, und verhalf uns übrigen zur Freiheit. Als aber in späterer Zeit gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen eintraten, versank im Verlauf nur eines schrecklichen Tages und einer Nacht eure griechische Streitmacht unter der Erde, und ebenso wurde auch die Insel Atlantis durch Versinken ins Meer den Augen entzogen. Durch den in geringer Tiefe befindlichen Schlamm, den die untergehende Insel zurückließ, ist auch das dortige Meer bis auf den heutigen Tag unzugänglich und unerforschbar
Weiter berichtet die Sage über Opferriten und Stierkampfbräuche, über Königstreffen und Rechtsprechung im alten Atlantis, und sie rühmt die Gewandtheit der Atlanter beim Sport, in der Schlacht und in der Seefahrt. Im Detail beschreibt sie den Aufbau der atlantischen Hauptstadt, einer Anlage aus drei konzentrischen Wasser- und zwei Erdringen und einem zentralen Hügel, auf dem sich neben dem Königspalast Heiligtümer des Poseidon und der Kleito befanden. Von unterirdischen Hafenanlagen ist die Rede, von überdachten Kanälen, golden glänzenden Mauern, prächtigen Gärten und bedeutenden Kunstwerken, etwa Statuen aus Gold.
Bild: Terra X Wo lag Atlantis, J-P. Berend E. Schmitz Seite 81
Auf dem Zentralhügel entsprangen zwei heilige Quellen, eine heiße und eine kalte. Die Truppen der Atlanter seien schwer bewaffnet gewesen; neben Bogenschützen umfaßte das Heer zahllose Ritter, 10000 Streitwagen und eine Flotte von 1200 Schiffen. Als die ägyptischen Priester Solon von Atlantis erzählten, sei das Reich aber schon vor 8000 bis 9000 Jahren versunken gewesen. Nun, was immer an der Sage wahr sein mag, diese Zeitangabe kann nicht gestimmt haben. Die Atlanter verfügten nämlich über Waffen und Geräte aus Eisen, und dieses Metall war erst seit dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend in Gebrauch. Dieser Anachronismus fiel schon um 1700 dem Rektor der Universität Uppsala, Olaf Rudbeck, auf. Er erklärte ihn damit, daß die von Platon erwähnten 8000 Jahre in Wirklichkeit Monate gewesen sein müssen, denn die Ägypter rechneten zu Solons Zeiten mit einem Monats- und keinem Jahreskalender. Die Atlantis-Erzählung hätte dann gegen Mitte des 13. vorchristlichen Jahrhunderts gespielt. Damit findet sie plötzlich Anhaltspunkte für eine Erklärung. Lange versuchten immer aufs neue Atlantis-Forscher, das alte Sagenreich wieder zu finden oder zumindest zu lokalisieren. Es gibt keine Inselgruppe im Atlantik oder im Mittelmeer, die nicht schon als Überreste des alten Atlantis untersucht wurde. Die Fülle der wissenschaftlich unhaltbaren und zum Teil sogar ausgesprochen wirren Hypothesen führte dazu, daß sich seit Jahrzehnten kein seriöser Wissenschaftler mehr an dieses Thema herantraut. Im Gegenteil, wo immer sich ein neuer erklärender Ansatz fand, stürzte sich ein Heer von Gelehrten darauf und bekämpfte ihn erbittert. In letzter Zeit ist auch das nicht mehr der Fall, denn die neueren Atlantis-Hypothesen stammen nicht mehr von Hobby- oder Berufsarchäologen, nicht von Seefahrern und Tauchern oder von Piloten, sondern von Hellsehern, Wahrsagern, Traumdeutern, Visionären und theoretisierenden Phantasten. Zu den prominentesten unter ihnen gehörte der 1945 verstorbene US­Amerikaner Edward Cayce, der als der »Schlafende Prophet« bekannt wurde und von dem im Kapitel über Bimini die Rede ist. Und doch gibt es in der Flut von Atlantis-Spekulationen eine ernstzunehmende Ausnahme, die möglicherweise eine Erklärung liefert. Wenn das legendäre Reich wirklich gegen Mitte des 1 3. Jahrhunderts v. Chr. unterging, wie Olaf Rudbeck plausibel vermutete, und wenn Atlantertruppen wirklich als kriegerische Horden die Länder des Mittelmeeres überfielen, dann kann es sich eigentlich nur um jene Seevölker gehandelt haben, die unter anderem auch Korsika angriffen. Ihre Heimat wurde von verschiedenen Historikern in Palästina, auf den Ägäischen Inseln, auf Kreta, in Griechenland, Thessalien oder Makedonien gesucht. Aber das kann nicht zutreffen, denn niemand attackiert schließlich seine eigene Heimat. Alle diese Gebiete wurden um 1200 v. Chr. angegriffen. Woher aber kamen die Angreifer wirklich? Das große Flachrelief einer Seeschlacht im ägyptischen Tempel von Medinet-Habu zeigt deutlich die gewiß nicht alltägliche Ausrüstung der kriegerischen Seevölker: ihre langen Schwerter mit dem charakteristischen Griff, ihre gehörnten oder federkronenartigen Helme, ihre typischen Rundschilde und ihre Schiffe, deren Bug- und Achtersteven in einem langen Schwanenhals mit einem stilisierten Vogelkopf ausliefen und die so sehr an die Schiffe auf den südskandinavischen .Felsbildern erinnern.  Ist die Ähnlichkeit Zufall? Im Nationalmuseum von Kopenhagen liegen Schwerter aus der nordischen Bronzezeit, die in ihrer Form den Stichwaffen der Seevölker ganz erstaunlich gleichen. Dort befindet sich auch ein bronzener Kamm, der als Kopf mit einer Feder- oder Strahlenkrone gearbeitet ist. Scheinbare Zufälle verdichten sich zur möglichen Beziehung zwischen Nord und Süd. Auf der Nachbarinsel Korsikas, auf Sardinien, fanden sich in den Nuraghen, den für die Insel typischen turmartigen Anlagen, kleine Bronzestatuetten, die bewaffnete Krieger darstellen. Ihre Rundschilde, die charakteristischen Schwertgriffe und gehörnten Helme weisen sie eindeutig als Mannen der Seevölker aus. Die hornförmigen Gebilde auf ihrer Kopfbedeckung sind besonders lang und enden in kugelrunden Knöpfen. Einen ganz gleichartigen Hörnerhelm fanden Archäologen auf der dänischen Insel Seeland! Waren die Bewohner Südskandinaviens und Dänemarks also gegen 1200 v. Chr. in großen Scharen ausgezogen, um das Mittelmeergebiet zu erobern? Die Inschrift im Tempel von Medinet-Habu sagt:
»Kein Land konnte ihnen standhalten, Hatti (das Hethiterreich), Kode (ein Gebiet in Kleinasien), Karkemisch (am Euphrat), Yereth (Kreta?) und Yeres (Zypern) wurden in einem Zug zerstört. Sie schlugen ihr Lager im Amoriterland (eine ägyptische Provinz) auf und richteten Land und Leute zugrunde, als hätten sie nie existiert. Bei ihrer Ankunft war eine Flamme vor ihnen bereitet... Sie legten ihre Hände bis an den Erdrand, ihre Herzen waren voller Zuversicht und sie sprachen: >Unsere Pläne werden gelingen<!«
Es können ihrer also nicht wenige gewesen sein. Das heißt, wenn es wirklich die nordeuropäischen Völker waren, die damals in den Mittelmeerraum zogen, dann konnten sie keine einzelnen Eroberungstruppen ausgesandt haben, dann mußten sie in großen Scharen aus ihrer uralten Heimat ausgewandert sein. Und wirklich: Aus der Zeit nach der Mitte des 13. vorchristlichen Jahrhunderts gibt es auf den dänischen Inseln und auf dem skandinavischen Festland fast kaum noch irgendwelche archäologischen Funde. Die alten Einwohner hatten diese Länder verlassen. Doch was hat sie zu der plötzlichen Flucht bewogen? 1911 berichtete der Klimaforscher D. Wildvang in einem Buch über »eine prähistorische Katastrophe an der deutschen Nordseeküste«:
»Mit der ihr eigenen ungestümen Gewalt ergoß sich die Nordsee zum ersten Mal . . . bis an den Rand der Geest und führte durch den großen Salzreichtum ihrer Fluten die Vernichtung aller Vegetation herbei. Schon beim ersten Anprall scheinen die üppigen Baumbestände erlegen zu sein . . . Durchweg sind die Kronen der gestürzten Bäume nach Osten gerichtet, wodurch die Annahme, die Katastrophe sei durch einen aus westlicher Richtung hervorbrechenden Sturm verursacht worden, ihre Bestätigung finden mag.«
Wildvang belegt seine Ausführungen durch die Ergebnisse unzähliger Bohrversuche beim Torfgraben und bei der Anlage von Kanälen und Schleusen in Norddeutschland. Die große Katastrophe muß sich im letzten Drittel des zweiten vorchristlichen Jahrtausends abgespielt haben, in einer Zeit, als viele der mächtigen europäischen Vulkane gleichzeitig ausbrachen. Der Santorin warf mehr als 130 Kubikkilometer glühendes Gestein und heiße Asche aus, der Ätna wurde aktiv, und sehr wahrscheinlich ergossen sich auch aus den Vulkanen auf Sinai und auf Island gewaltige Lavaströme ins Meer. Seebeben trieben die Fluten der Meere in haushohen Brandungsmauern auf das Festland und verwüsteten weite Landstriche. Die unvorstellbaren Mengen feiner und feinster Asche, von den Feuer speienden Bergen hoch in die Atmosphäre geschleudert, verdunkelten die Sonne. Die Folge war ein drastischer Temperatursturz. Ähnliche Auswirkungen schwerer Vulkanausbrüche auf das Klima gab es auch in historischer Zeit. Nach der gewaltigen Eruption des Krakatau im Jahre 1883 sank beispielsweise die mittlere Jahrestemperatur auf der ganzen Welt um 0,5 Grad Celsius, und es kam in vielen Ländern zu Mißernten. Auch den kühlen Sommern und den extrem kalten Wintern der Jahre 1784 bis 1786 ging ein bedeutender Vulkanausbruch voraus: Der isländische Skaptarjökull war am 11. Juni 1783 aktiv geworden. Die vernichtende Katastrophe, die ganz besonders die Länder um die Nordsee traf, scheint diesem Meer seinen alten keltischen Namen Marimarusa und seine griechischen Bezeichnungen thalassa nekron und nekros pontos eingetragen zu haben. Alle bedeuten sie Meer der Toten, und genauso nannten auch die Römer die Nordsee: mare mortuum. Auf jeden Fall waren die entfesselten Naturgewalten, die folgende einschneidende Klimaverschlechterung und die bleibende Überflutung weiter Landesteile westlich des heutigen Jütlands und Schleswig-Holsteins für die alten nordischen Völker Grund genug, ihre verwüstete Heimat zu verlassen und sich einen neue Bleibe zu suchen. Das erklärt das plötzliche Auftreten der Seevölkerscharen gegen 1220 v. Chr. im Mittelmeer und die verblüffende Ähnlichkeit ihrer Waffen, ihres Kopfschmucks und ihrer Schiffe mit denen der Nordvölker. Erhellt dieser Zusammenhang auch den wahren Hintergrund der Atlantis-Sage? Der norddeutsche Pastor, Frühgeschichtler und Archäologe Jürgen Spanuth ging dieser Frage jahrelang mit wissenschaftlicher Akrebie nach und veröffentlichte 1953 in seinem Buch „Das enträtselte Atlantis“ eine aussehenerregende und bis heute Heißumstrittene These. Er identifizierte die Seevölker mit den Atlantern der platonischen Sage und suchte Basileia, die Königsinsel ihres versunkenen Reiches, östlich von Helgoland, wo Tauchexpeditionen im Flachwasser des Steingrundes inzwischen tatsächlich die Ruinen von Menschenhand geschaffener Mauern fanden. Spanuth belegt seine Atlantis-Theorie mit einer erdrückenden Fülle von Beweismaterial, von der Identität der kriegerischen Seevölker mit den alten Bewohnern der nordischen Gestade, der Übereinstimmung zwischen Platons Bericht und den bronzezeitlichen südskandinavischen und dänischen Kulturspuren bis zu der verblüffenden Parallele zwischen der in der Sage erwähnten gewaltigen Naturkatastrophe und den schrecklichen Verwüstungen, die sich tatsächlich um 1220 v. Chr. in Nordeuropa ereignet haben. Spanuths Arbeit fand in der Fachwelt spontane Anerkennung:
»Nach eingehender Kenntnisnahme der wissenschaftlichen Arbeiten von Herrn Pastor J. Spanuth und nach Prüfung des Manuskripts für ein Buch über das Thema >Enträtseltes Atlantis< erkläre ich hiermit, daß es sich dabei um sehr bedeutsame und wissenschaftlich wertvolle Forschungen handelt, die in jeder Hinsicht unterstützt werden sollten«, schrieb Professor Dr. P. Paulsen in einem Gutachten vom 1. Juni 1949. Und auf das 1953 erschienene Buch reagierte Professor Dr. Otto Huth sofort mit einem Brief an den Autor: »Ich las Ihr Werk in einer Nacht durch und beglückwünsche Sie zu dieser ausgezeichneten Darstellung Ihrer Auffassung und zu Ihrer Entdeckung.«
Bald darauf aber rebellierte die Fachwelt und beschimpfte den Pastor in ausfälligster Weise als Lügner und Verbreiter von »ausgemachtem Blödsinn«, ohne ihn indes widerlegen zu können. Die Öffentlichkeit schloß sich der lautstarken und erdrückenden Übermacht der Spanuth angreifenden Professoren an. Schließlich verklagte der in die Enge getriebene Pastor seine Widersacher. Am 2. Dezember 1960 kommentierte die »Frankfurter Rundschau« das erlassene Gerichtsurteil:
 »Wegen Unhaltbarkeit ihrer Gegenthesen zogen nach einer Verhandlung vor dem Landgericht Flensburg die zehn Professoren ihre Schrift selbst zurück, ein wahrhaft nicht alltägliches Ereignis im Bereich der deutschen Wissenschaft!«
Doch Spanuth hat keineswegs nur Gegner gefunden. Schon sechs Jahre vor dem Urteil von Flensburg äußerte sich der bekannte Professor für Vorgeschichte, Dr. Stokar, in einem Brief an seinen Fachkollegen Jacob-Friesen über eine von den zehn später vor Gericht stehenden Professoren verfaßte Anti-Spanuth-Broschüre:
»Diese Broschüre ist keine sachlich begründete Überlegung, sondern eine Blamage! Das sind alles keine wissenschaftlichen, gut fundierten Entgegnungen, sondern Palaver aufgeschreckter Hühner mit erschütternd tiefem Niveau! . . . Ich bin entsetzt. Die Broschüre >Atlantis enträtselt?< von Weyl leugnet einfach alles, was in den letzten 20 Jahren erforscht worden ist!«
Andere Wissenschaftler argumentierten ähnlich wie Professor Stokar. Trotz allem dauert der Gelehrtenstreit um Spanuths Erkenntnisse auch heute noch fort.

Quelle: Die großen Rätsel unserer Welt von Felix R. Paturi, ISBN: 09183/5, 1989, Deutscher Bücherbund GmbH+Co
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Die Geschichte von Atlantis

Niemand weiß, wann die altägyptische Stadt Sais gegründet wurde; nachgewiesen ist sie seit mindestens 3000 v. Chr. Jahrtausende lang lag sie unauffällig am Ufer des Nils in dessen Delta, bis sie im 7. Jahrhundert v. Chr. zu kurzem Ruhm gelangte. In dieser Zeit war sie die Residenz der 26. Dynastie der Pharaonen. Die zahlreichen Tempel von Sais wurden von einer selbstbewußten Priesterschaft gehütet, die die Rituale bewahrte und die historischen Schriften sorgsam bewachte. Nach dem Glauben der Ägypter war ihnen alle Weisheit und alles Wissen am Beginn ihrer Zivilisation von den Göttern selbst übergeben worden; jede spätere Neuerung, jede Revision konnte sie nur weiter von dieser ursprünglichen, reinen Wahrheit entfernen. Nach der Überlieferung geschah es hier, in einem der Tempel von Sais, daß ein geheimnisvoller Bericht aus der entfernten Vergangenheit in Hieroglyphen in große Steinpfeiler gemeißelt wurde. Es war die Geschichte des ersten Reiches, das die Menschheit kannte: Atlantis.
 "Vor neuntausend Jahren", erklärte der Priester des Tempels, "lag im Atlantischen Ozean, dem wahren Ozean, jenseits der Säulen des Herakles [der Straße von Gibraltar] eine Insel, die größer war als Libyen und Asien zusammen. Ihre Könige waren Mitglieder eines großen Bundes, dessen Herrschaftsgebiet nicht nur ihre eigene Insel umfaßte, sondern auch viele andere Länder. In Afrika reichte es bis nach Ägypten, in Europa bis in die Toskana."
Dann beschrieb er Atlantis, dessen Küsten größtenteils senkrecht aus dem Meer gestiegen seien, so daß die hohen Klippen einen guten Schutz vor dem stürmischen Atlantik wie auch vor angreifenden Armeen boten. Jenseits dieser Klippen hätten Wälder, Seen und Flüsse gelegen, über denen breite Bergketten mit Vulkanen und einer Vielzahl heißer Quellen aufgeragt seien, die von der Bevölkerung genutzt wurden. Atlantis habe die Größe Spaniens gehabt; es sei ungefähr 800 km lang gewesen, und seine Nordspitze habe auf der Höhe von Gibraltar gelegen. Die Insel sei von der Natur reich bedacht gewesen; ihre Wälder, Seen und Sümpfe seien die Heimat vieler wilder Tiere gewesen. Auffällig war - nach der Überlieferung - vor allem die große Zahl der Elefanten. Diese Aussage könnte sich eventuell auf das ausgestorbene Mastodon beziehen, eine Abart des Elefanten, die während der letzten Eiszeit sehr häufig war. Die Südhälfte der Insel habe ganz anders ausgesehen. Hier seien die Berge zu Ende gewesen und hätten eine weite, fruchtbare Ebene geschützt, die 600 km lang und 400 km breit gewesen sei. Sie sei das landwirtschaftliche Zentrum des Landes gewesen. Zahllose Bauernhöfe, Dörfer, Städte und Tempel hätten die Landschaft überzogen, durch ein Netz von Kanälen mit der Hauptstadt verbunden. Auf diesen Wasserwegen hätten Boote das aus den Wäldern in der Landesmitte stammende Holz und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse zum Markt der großen Stadt oder als Exportgut zu deren Hafen transportiert. Die Hauptstadt von Atlantis habe am Südende dieser großen Ebene gelegen. Sie sei nach einem kreisförmigen Plan angelegt gewesen, in dessen Mitte sich das dem Gott Poseidon und seiner sterblichen Gattin Kleito gewidmete Heiligtum befunden habe. Um das Heiligtum herum habe sich der Bereich des Königspalastes ausgebreitet, gefolgt vom ersten der breiten konzentrischen Kanäle, die die Stadt umschlossen und unterteilten. Drei solcher Kanäle, die jeweils Ankerplätze für die Kriegs- und Handelsflotte boten, für die Atlantis berühmt gewesen sei, habe es gegeben. Der Hauptgott und Gründer der Zivilisation von Atlantis war Poseidon. Den Sagen zufolge stieg er herab und erwählte sich aus der einheimischen Bevölkerung, die zu dieser Zeit ein einfaches Leben auf der Insel führte, eine Gattin, das Waisenmädchen Kleito. Seinen ältesten Sohn Atlas habe er zum ersten König ernannt. Der Poseidonkult sei mit Stieropfern gefeiert worden. Im Zentrum der Insel habe sich ein Tempel des Gottes befunden und ein heiliger Hain, in dem wilde Stiere frei umhergestreift seien. Regelmäßig - jedes fünfte oder sechste Jahr - hätten sich der König und seine die Provinzen verwaltenden Verwandten versammelt, um ihren Bund mit Poseidon zu erneuern und Beschlüsse über die Angelegenheiten des Staates zu fassen. Bei diesen Zusammenkünften hätten sie zuerst einen Stier verfolgen und fangen müssen; da sie keine eisernen Waffen hätten verwenden dürfen, hätten sie Holzknüppel und Seilschlingen benutzt. Den gefangenen Stier habe man zu einer erzenen Säule im Tempel geführt, in die die frühesten Urkunden und Gesetze des Landes eingraviert gewesen seien. Auf der Spitze dieser Säule sei der Stier sodann geschlachtet worden, so daß sein Blut über die Inschrift lief. Dann hätten die Herrscher geschworen, ihren Gesetzen treu zu bleiben, und den Bund besiegelt, indem sie aus einem Krug getrunken hätten, der mit Stierblut und Wein gefüllt gewesen sei. Nach diesem Erneuerungsritus hätten sie Hof gehalten und ihre Angelegenheiten besprochen. Viele Jahrhunderte lang hätten Weisheit und Mäßigung in Atlantis gewährt. Doch mit der Zeit habe man diese Tugenden vergessen, an ihre Stelle seien Habsucht und Ehrgeiz getreten. Der Reichtum und Stolz der Bewohner habe sie um die Gunst der Götter gebracht und ihren Untergang herbeigeführt. Als die Menschen von Atlantis den Verlockungen der Macht verfallen seien, hätten ihre Armeen ein gewaltiges Reich erobert, das sie zu beherrschen versuchten. Es habe die Iberische Halbinsel, Südfrankreich, Nordafrika und Norditalien umfaßt. Dann hätten sie versucht, in Ägypten und Griechenland einzumarschieren, doch seien sie in einer großen Schlacht, in der die Athener eine führende Rolle gespielt hätten, gescheitert.
Bild: Das Rätsel der Sphinx, Michael Baigent  Seite 202
Einige Zeit nach dieser Niederlage seien die Götter endgültig an ihnen verzweifelt und hätten ihnen die völlige Zerstörung geschickt. Mächtige Erdbeben und Flutwellen hätten ihr Land erschüttert, bis Atlantis in einer jähen Katastrophe vollkommen vom Meer verschlungen worden sei. Übrig geblieben sei nur ein riesiger Rücken aus dickem Schlamm, der die Überquerung des Atlantischen Ozeans unmöglich gemacht habe. Der erste, der die Geschichte von Atlantis, von seiner Größe und seinem gewaltsamen Untergang erzählte, war der griechische Philosoph Platon, einer der frühesten und zweifellos größten Denker aller Zeiten. Platon lebte, schrieb und lehrte ab etwa 427 v. Chr. in Athen, bis er dort achtzig Jahre später starb. Um seine Ideenvorstellungen auszudrücken, bediente er sich in seinen Büchern meist der Form von Gesprächen oder Debatten zwischen Freunden und Bekannten. Dabei schöpfte er zwar aus zahlreichen historischen Berichten und Legenden, doch konnte niemals erwiesen werden, daß er sein Material erfunden hätte. Er nahm alles so, wie er es vorfand, und verwendete es in seiner ursprünglichen Form zur Veranschaulichung seiner Gedanken. Gegen Ende seines Lebens, bereits auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, schrieb er zwei verwandte Dialoge, Timaios und Kritias. In beiden Texten berichtet Kritias, im wirklichen Leben ein älterer Verwandter Platons, die Geschichte von Atlantis, wie sie ihm zu Ohren gekommen war. Offenbar hat Kritias Platon die Geschichte tatsächlich erzählt, der sie nach seiner Art in Dialogform verarbeitete. Aber aus welcher Quelle hatte Kritias sie erfahren? Kritias erklärt, sie sei in seiner Familie schon lange tradiert worden; sein Urgroßvater habe sie von einem Verwandten gehört, dem berühmten athenischen Politiker Solon. Zusammen mit der Geschichte habe Solon auch seine detaillierten Notizen weitergegeben, die Platon nun wohl, eineinhalb Jahrhunderte später, zur Verfügung standen. Solon war eine hochverehrte Gestalt der griechischen Geschichte, besonders für die Griechen zur Zeit Platons. Es wäre undenkbar gewesen, daß der Philosoph ihm irgendwelche Fehlinformationen zugeschrieben hätte. Immerhin hielt man Solon für einen der weisesten Männer seiner Generation, hatte er doch das von den Athenern benutzte Rechtssystem entworfen. Während einer Zeit großer gesellschaftlicher Spannungen hatte man Solon gebeten, einen gesetzlichen und politischen Kompromiß auszuarbeiten, der alle Seiten zufrieden stellen würde. Er entledigte sich dieser Aufgabe mit großem Erfolg, doch da er wußte, daß er unter Druck von Seiten jener Leute geraten würde, die ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten, beschloß er, Athen zu verlassen, so daß alle sich mit den Gesetzen in ihrer vorliegenden Form auf die eine oder andere Weise würden arrangieren müssen. Sobald das System etabliert war, verließ er die Stadt und reiste übers Meer zunächst nach Ägypten. Wie viele Athener war Solon Kaufmann und Schiffseigner. Ein Besuch Ägyptens bot sich an, da dort viele seiner Landsleute lebten. Der Pharao Amasis (570 bis 526 v. Chr.) hatte den Griechen gestattet, den in der Nähe seiner Residenz Sais im Nildelta gelegenen Hafen von Naucratis als Handelsstützpunkt auszubauen. Noch während seiner Regierungszeit traf Solon dort ein. Er blieb einige Jahre in Ägypten. In dieser Zeit besuchte er Sais und sprach dort ausführlich mit dem Priester Sonchis; auch bei einer Reise nach Heliopolis freundete er sich mit einem Priester namens Psenopis an, der ihm viele in den Tempeln verwahrten Weisheiten mitteilte. Solons Gesprächspartner zählten zu »den gelehrtesten unter den Priestern« Ägyptens. Bei einem seiner Gespräche mit einem Priester - vielleicht Sonchis - in einem Tempel von Sais, hörte Solon zum ersten Mal die Geschichte von Atlantis. Vielleicht hatte dieser Priester aus Verärgerung seine übliche Zurückhaltung aufgegeben. Im Tempel hatte Solon begonnen, über die Frühzeit der griechischen Geschichte zu dozieren, als einer der anwesenden ägyptischen Priester, ein sehr alter Mann, sich schließlich nicht mehr beherrschen konnte.
"0 Solon", rief er zornig, "Solon, ihr Griechen bleibt doch ewig Kinder; einen alten Griechen gibt es ja überhaupt nicht."
Verblüfft fragte Solon, was er damit meine. Der Priester erklärte:
"Ihr seid alle jung in eurer Seele, [...] denn ihr habt in ihr keine urtümliche Meinung, die aus alter Überlieferung stammt, noch irgendein altersgraues Wissen."
Dann beschrieb er die vielen Verwüstungen, die die Menschheit in der Vergangenheit erlitten habe. In Griechenland zum Beispiel habe es eine große Flut gegeben, die alle Städte des Landes ins Meer gespült hätte. Weil keiner der Überlebenden des Schreibens mächtig gewesen sei, habe die Kultur wieder ganz neu beginnen müssen, und alle Erinnerungen an die Zeit vor der Katastrophe seien verloren gewesen. In Ägypten hingegen habe keines dieser Naturereignisse solche Zerstörungen verursacht, weshalb hier alles »von alters her in unseren Tempeln aufgezeichnet worden und damit erhalten geblieben« sei. Als Solon dies hörte, erkannte er erregt die Möglichkeit, etwas über die Vergangenheit zu erfahren, und drang in den Priester, Weiter zu sprechen. Obwohl dieser anfangs zu zögern schien, beschloß er, Solon die Geschichte von Atlantis nicht vorzuenthalten. Eben dies ist ein Hinweis darauf, daß ihn vielleicht der Zorn überwältigte und dazu brachte, etwas zu offenbaren, das er womöglich lieber verschwiegen hätte. Auf jeden Fall könnte die Tatsache, daß keine späteren Aussagen über diese Legende existieren, darauf hindeuten, daß es sich um ein für den inneren Kreis der Priester reserviertes Wissen handelte. Ob er nun zögerte oder nicht, der Priester verriet Solon jedenfalls eine Geschichte, die 9000 Jahre zurücklag - er erzählte ihm die Geschichte von Atlantis. Solon war von der Dramatik der Erzählung ergriffen und beschloß, sie in einem Epos zu verarbeiten, wie Homer es mit dem Trojanischen Krieg getan hatte. Am Ende seiner Reisen kehrte Solon nach Athen zurück und begann mit der Arbeit an diesem Epos, gab die Idee später jedoch auf. Vielleicht fühlte er sich der Aufgabe nicht gewachsen. Was auch immer seine Gründe gewesen sein mögen, er gab die Geschichte und seine Notizen an Kritias' Urgroßvater weiter, und so geriet sie in die Familie Platons. Bei all dem bleibt Platon die ursprüngliche Quelle der Geschichte. Ist sie doch seine Erfindung? Dagegen spricht, daß man keiner seiner anderen Schriften je vorgehalten hat, erfundenes Material zu enthalten. Auch Solon war ein Mann, dem man Ehrlichkeit und Weisheit zuschrieb, und schließlich scheint auch der Weg plausibel, über den der Bericht von Solon zu Platon gelangte. Damit stellt sich allerdings immer noch die Frage, ob wir es mit einer Geschichte zu tun haben, die alle Beteiligten - auch der ägyptische Priester - ausschmückten? Beginnt diese Geschichte zwar weitgehend korrekt, endet aber mehr oder minder falsch? Auf jeden Fall scheint sie Elemente zu enthalten, die aus verschiedenen Quellen stammen könnten. Schon Platon wußte, daß der von ihm niedergeschriebene Bericht an die Grenzen der Glaubwürdigkeit stieß, weshalb er es für notwendig hielt, explizit festzustellen, es handle sich um »eine gar merkwürdige, aber durchaus wahre Geschichte«. Im Timaios finden sich insgesamt vier solcher Bemerkungen, deren Wiederholung auf Platons Erwartung hinweist, zumindest ein Teil seines Publikums werde sich weigern, ihm die Geschichte zu glauben. Damit hatte er recht: Selbst sein Schüler Aristoteles tat die Geschichte kurzerhand als Märchen ab. Wir können davon ausgehen, daß Platon etwas korrekt weitergab, das zumindest er für wahr hielt. Solon könnte die Erzählung des Priesters teilweise entstellt oder Fehler bei der Wiedergabe der hieroglyphischen Texte gemacht haben, die er teilweise, wie Platon schreibt, selbst übersetzt hatte. Der ägyptische Priester wiederum könnte einfach eine Geschichte erfunden haben, um das große Alter, das Solon der griechischen Kultur zuschrieb, zu übertrumpfen. Vielleicht vermischte er in seinem Ärger auch erfundene dramatische Elemente mit echten historischen Fakten. Alles in allem stellt die Geschichte uns vor drei grundlegende Probleme:
1. Nur Platon überliefert sie. Auch wenn die Geschichte stimmt, war sie weder allgemein bekannt, noch existierten im alten Ägypten anderswo Aufzeichnungen darüber. Als die Griechen unter Alexander dem Großen später Ägypten eroberten, erhielten Hunderte griechischer Gelehrter Zugang zu den ägyptischen Dokumenten. Während des im Anschluß an Alexanders Feldzug errichteten hellenistischen Königreichs Ägypten entstand die berühmte Bibliothek von Alexandria, die das gesamte in der antiken Welt verfügbare Wissen enthielt. Hätten Einzelheiten der Geschichte von Atlantis ihren Weg in diese Bibliothek gefunden, so hätten viele der Gelehrten, die dort im Verlauf der Jahrhunderte arbeiteten, sie mit Sicherheit erwähnt. Auch die moderne Archäologie kennt keine entsprechenden Papyrusrollen oder Inschriften. Wahr ist allerdings auch, daß viel Material der altägyptischen Kultur verloren gegangen ist  und daß manches Wissen schon immer geheim gehalten wurde.
2. In der Geschichte wird behauptet, 9000 Jahre vor Solons Zeit, also um 9565 v. Chr., habe eine Kultur existiert, die den Gebrauch von Metallen, Schiffe, behauene Bausteine und den Ackerbau gekannt habe. Dies wäre typisch für die Bronzezeit, wie wir sie erst ab etwa 3200 v. Chr. kennen. Die Geschichte scheint also 6000 Jahre zu früh in der Vergangenheit angesiedelt zu sein.
3. Die riesige Insel, die diese Kultur beherbergte, soll als Folge eines Erdbebens innerhalb von eineinhalb Tagen im Atlantik versunken sein. Es scheint jedoch keine anderen Aufzeichnungen oder Belege zu geben, die diese Katastrophe bestätigen könnten.
Lassen wir den Gebrauch von Metallen einmal beiseite, sind derart fortgeschrittene Kulturen zeitlich nicht allzu sehr von dem bei Platon genannten frühen Datum entfernt. Die Forschungen der letzten 30 Jahre haben gezeigt, daß im anatolischen Catal Hüyük eine komplexe, vom Handel geprägte Gesellschaft existierte; und im Jordantal entstanden in Jericho sehr früh, vielleicht schon im 8. Jahrtausend, steinerne Stadtmauern und Türme. Nur die Bearbeitung von Metallen setzte erst 2000 Jahre später ein. Die Behauptung, eine solche Kultur habe um 9000 v. Chr. existiert, ist also keineswegs abwegig - wir haben nur einfach noch keine entsprechenden Belege gefunden. Viele Kulturen sind zwar vollständig untergegangen, doch wir entdecken noch immer gelegentlich Relikte, die aus völlig unbekannten Reichen der Vergangenheit stammen. Trotz dieser Argumente akzeptieren die meisten Forscher zwar das in der Geschichte von Atlantis beschriebene zivilisatorische Niveau, lehnen das Datum aber als unrealistisch ab. Wenn die Erzählung tatsächlich einen wahren Kern habe, dürfe die verschwundene Kultur ihrer Ansicht nach nicht in der fernen Vergangenheit gesucht werden, sondern in den Jahren von 2000 bis 1500 v. Chr., also in der späten Bronzezeit. Es besteht wenig Zweifel daran, daß das von Platon beschriebene Atlantis tatsächlich auf die Zivilisation der späten Bronzezeit verweist. Entweder müssen wir also Platons Datum für falsch erklären und in bekannten Gebieten bronzezeitlicher Kultur suchen, oder wir müssen uns gegen alle heute bekannten archäologischen Belege wenden und annehmen, die Bronzezeit habe wesentlich früher begonnen - 6000 Jahre früher. Die Wissenschaft hat sich natürlich dafür entschieden, sich auf die bekannten Grabungen aus der Bronzezeit zu konzentrieren. Sind irgendwelche großen kulturellen Zentren der Bronzezeit einfach verschwunden, indem sie nach Vulkanausbrüchen oder Erdbeben im Wasser versanken? In mindestens zwei Fällen trifft dies tatsächlich zu. Da man den Atlantischen Ozean als Ort der Insel für eine wilde Übertreibung hält, wandte die Aufmerksamkeit sich von ihm ab und richtete sich statt dessen aufs Mittelmeer. Hier flog innerhalb der revidierten Zeitspanne tatsächlich ein kulturelles Zentrum in die Luft; ein zweites wurde von Erdbeben erschüttert und versank in einem See, so daß nur die schattenhaften Umrisse der Mauern unter dem Wasserspiegel übrig blieben.  Der Ausbruch von Thira  Irgendwann um das Jahr 1628 v. Chr. herum explodierte in einem Sommer die griechische Insel Thira mit der Gewalt von 30 Wasserstoffbomben. Die pulverisierte Mitte der Insel wurde kilometerweit in den Himmel geblasen. Anstelle der fruchtbaren Felder und Weinberge, die sich dort ausgebreitet hatten, entstand ein ebenso großer wie tiefer Krater, in den sich rasch das Meer ergoß. Die wenigen Teile der Insel, die am Rand des Kraters lagen, wur­den tief unter vulkanischen Trümmern begraben, vor allem unter vielen Schichten heißer Asche. Die zerstörten Reste, die vielleicht über Generationen hinweg, vielleicht auch jahrhundertelang unbewohnbar blieben, bilden heute Santorin, eine Gruppe von fünf kleinen Inseln, deren größte den Namen Thira trägt. Wie alle griechischen Inseln ist Thira heute ein beliebtes Urlaubsziel, das alle Besucher mit seinen hohen, steil aus dem tiefblauen Ägäischen Meer steigenden Vulkanklippen beeindruckt. Leuchtend weiße Häuser klammern sich an den schroffen Kraterrand wie Seevögel, bereit, beim ersten Anzeichen einer Gefahr aufzufliegen. Aus einer kleinen Insel in der Mitte des vom Meer gefüllten Kraters steigen manchmal Rauchfäden auf und erinnern die Besucher daran, daß der Vulkan noch immer ausbrechen könnte. Thira besitzt seinen Anteil an Ruinen aus der griechischen Antike: Reste von Tempeln, Häusern, Amtsgebäuden und einem Theater. Darüber hinaus ist jedoch schon seit vielen Jahren bekannt, daß unter den Schichten vulkanischer Trümmer sichere Belege für eine einst in Vergessenheit geratene Zivilisation ruhen. Im Laufe der Zeit ließ die Erosion Spuren von Mauern und Töpferware sichtbar werden, und im 18. Jahrhundert brachten beschränkte Grabungen die Reste dreier Häuser zum Vorschein. Eines von ihnen war reich mit gemalten Schmuckelementen verziert. Die Grabungen wurden jedoch nicht fortgesetzt - es gab damals erst wenige Archäologen, und die Mittel für ihre Arbeit waren begrenzt. Was die Geldquellen betraf, lernten die Archäologen schon früh, daß nur dramatische Entdeckungen sie zum Sprudeln bringen, und folglich banden Inseln wie Kreta mit seinen großen Palästen die archäologische Aufmerksamkeit. Auf Kreta befanden sich die eindrucksvollen Überreste einer bislang unbekannten Zivilisation, die von der Seefahrt und vom Handel geprägt worden war. Das Zentrum der mächtigen und hoch entwickelten Kultur bildete der imposante Palast von Knossos, mit dessen Ausgrabung Sir Arthur Evans 1899 begann. Nach dem kretischen König Minos, bekannt aus der späteren griechischen Sage vom Minotaurus, spricht man heute von der minoischen Kultur. Ein besonderes Merkmal der minoischen Kultur ist ihre Vorliebe fürs Dekor. Die minoische Keramik ist reich bemalt, in den Gebäuden finden sich Wandgemälde, die einen guten Eindruck vom damaligen Leben vermitteln. Vor allem gewähren sie uns einen Blick auf den Stierkult, die diese Kultur kennzeichnende Religion. Bei ihren Arbeiten entdeckten die Archäologen eine Besonderheit: Die weit verbreitete und erfolgreiche Kultur war unvermittelt überwältigt und zerstört worden. Die Mauern der Paläste und Villen waren demoliert, die Häuser verbrannt, die Keramik zerschmettert worden. Auch die Macht dieser Kultur war scheinbar über Nacht verschwunden. Es sah so aus, als hätten ihre Schiffe urplötzlich nicht mehr die Meere beherrscht und ihre Händler aufgehört, Waren aus allen Teilen der bekannten Welt herbeizuschaffen. Es dauerte nicht lange, bis die Wissenschaft anfing, eine Parallele zwischen Platons Beschreibung von Atlantis und dem Bild zu ziehen, das die reiche bronzezeitliche Kultur Kretas bot. Beide Fälle fanden schließlich ein abruptes Ende. Schon zehn Jahre nach Beginn der Grabungen wurde eine solche Verbindung unterstellt, allerdings anonym. In den folgenden 50 Jahren tauchten kontinuierlich weitere Parallelen auf. 1967 schließlich begann einer der enthusiastischsten Vertreter dieser Hypothese, der griechische Archäologe Spyridon Marinatos, im Boden nach Beweisen zu suchen. Acht Jahre lang führte Professor Marinatos systematische Grabungen auf Kreta durch, bis er 1974 vor Ort starb. In diesen Zeitraum fiel die dramatische Entdeckung von Teilen einer sehr großen, uralten Stadt, die zur Klärung von zwei wichtigen Aspekten beitrug. Zum einen konnte Marinatos beweisen, daß Thira auf dem Höhepunkt seiner bronzezeitlichen Kultur explodiert war, und zum anderen wurde deutlich, daß die Bewohner von Thira in engem und direktem Kontakt mit der minoischen Kultur Kretas gestanden hatten. Vielleicht war Thira ein minoischer Vorposten gewesen, eine Kolonie oder ein enger Verbündeter. Damit gewann die Hypothese von einem bronzezeitlichen Atlantis allmählich Kontur: Ihr zufolge hätte die Explosion Thiras zum Untergang des minoischen Kreta und zu seinem »Verschwinden« aus der Welt der Bronzezeit geführt. Thira - oder vielleicht auch Kreta - wäre dann Atlantis. Dem Meeresboden entnommene Proben zeigten, daß in einem großen Teil der südlichen Ägäis aus Thira stammende vulkanische Trümmer zu finden sind. Geschätzt werden kann auch die Höhe der Ascheschicht, die möglicherweise auf Kreta fiel: Ihre 20 Zentimeter reichten aus, um den Boden zu vergiften. Zusammen mit Hinweisen auf eine umfangreiche Zerstörung - drei wichtige königliche Paläste, vier große Landsitze und sechs ganze Städte gingen gleichzeitig unter - wurde ferner Bimsstein gefunden. Die Schäden an Gebäuden in Küstennähe verweisen auf die zerstörerische Wirkung von Flutwellen, die der Vulkanausbruch zweifellos hervorgerufen hätte. Die Mauern sind nach außen gestürzt, zerbrochene Haushaltsgegenstände im weiten Umkreis verstreut. Professor Marinatos und viele andere Forscher waren der Ansicht, die Grabungen auf Thira und Kreta hätten das Rätsel von Atlantis endgültig gelöst. Bald erschienen Bücher, die ihre Vorstellungen wiederholten und bestärkten, Platons Geschichte von Atlantis schildere im großen und ganzen die bronzezeitliche minoische Kultur Kretas, deren abrupter Untergang auf den Vulkanausbruch auf Thira zurückzuführen sei. Die katastrophale Kombination aus Asche, Flutwellen und wahrscheinlich auch Erdbeben habe Kreta so zugesetzt, daß es rasch in Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit versunken sei. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß diese Hypothese falsch ist. Das klassische Griechenland wußte gut Bescheid über Kreta und seine Geschichte. Platon selbst besuchte die Insel einmal, um dort die Möglichkeit der Gründung einer Gemeinschaft zu erkunden. Zudem beschäftigte sich eine reiche mythologische Überlieferung mit dem alten Kreta und dessen König Minos. Es ist daher unvorstellbar, daß Solon oder Platon Atlantis und Kreta nicht zueinander in Beziehung gesetzt hätten, wenn das die Intention der ursprünglichen Geschichte gewesen wäre. Daß sie es nicht taten, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß sie der Meinung waren, es handele sich um zwei unterschiedliche Orte. Und schließlich ist die wichtigste heroische Gestalt in der Geschichte von Atlantis der Riese Atlas, nach dem Insel und Meer benannt sind. In keinem griechischen Mythos über Kreta spielt Atlas indessen je eine entsprechende Rolle. Auch die historische und die archäologische Forschung haben die Hypothese von Thira und Atlantis schließlich zu Fall gebracht. Das so häufig erwähnte abrupte Ende des minoischen Handels ist nämlich einfach nicht eingetreten. Es gab keine plötzliche Unterbrechung der Beziehungen zwischen Kreta und seinen Handelspartnern. Den endgültigen Beweis, daß Professor Marinatos unrecht hatte, entdeckten Archäologen, als sie unterhalb der kretischen Trümmer auf Vulkanasche aus Thira stießen. Der Ausbruch muß also vor der Zerstörung der Gebäude stattgefunden haben. Außerdem hat man nachgewiesen, daß die auf Thira ausgegrabene Keramik älter ist als die der verwüsteten kretischen Paläste. Inzwischen ist man deshalb der Ansicht, der Ausbruch von Thira könnte bis zu 250 Jahre vor der Zerstörung der kretischen Städte und Paläste stattgefunden haben. Diese Zerstörung ist nach heutiger Auffassung Folge einer militärischen Eroberung der Insel. Es war also nicht die Explosion von Thira, die den Untergang des minoischen Kreta herbeiführte. So kann die Geschichte von Atlantis nicht erklärt werden, und damit wäre eine Hypothese erledigt. Sind in der Antike folglich keinerlei Hinweise auf die Entstehung der Legende zu finden? Platon zufolge ging der Zerstörung von Atlantis eine entscheidende Niederlage seiner bis dahin siegreichen Armee in einer Schlacht gegen die Athener voraus. In diesem Zusammenhang fügt der Autor eine Beschreibung des Lebens in dieser Frühzeit ein, die durch ihre Detailtreue beeindruckt. Platon beginnt mit einer Klage über die von starker Erosion verursachten Verwüstungen in Griechenland. In jener frühen Zeit, schreibt er, habe das Land noch nicht seinen fruchtbaren Boden verloren gehabt, sondern sei mit Wäldern und Feldern bedeckt gewesen und mit Wiesen, auf denen große Herden gegrast hätten. Zu Platons Zeit sei der Boden wesentlich schlechter und ärmer geworden. Es folgt eine detaillierte Beschreibung der Akropolis von Athen, ihrer Maße und der verschiedenen, von Kriegern, Handwerkern und Bauern bewohnten Bereiche. Alle damaligen Gebäude, schreibt Platon, seien zerstört und von den noch stehenden Bauten ersetzt worden. Schließlich habe es auch einen großen Brunnen gegeben, der Wasser geliefert habe, aber schon lange vor seiner Zeit durch ein Erdbeben verschüttet worden sei. Die archäologische Forschung hat gezeigt, daß Platons Beschreibung jeder Überprüfung absolut standhält. Der Philosoph entwirft keine Phantasiewelt, sondern gibt Details wieder, die anderswo aufgezeichnet waren - wo, wissen wir nicht. Dieses Athen einer früheren Epoche und seine Bewohner sind bekannt; sie gehören in die späte Bronzezeit, in der die Stadt in den Machtbereich einer Dynastie von Königen fiel, die von ihrer Residenz Mykene aus bis etwa 1100 v. Chr. herrschten. Tatsächlich war es diese Dynastie, die Kreta überfiel, seine Paläste zerstörte und die minoischen Könige aus ihrem Palast in Knossos vertrieb. Dieselbe Dynastie kämpfte auch im Trojanischen Krieg. Ein Wissenschaftler behauptete sogar, der Trojanische Krieg habe die Basis für die Geschichte von Atlantis geliefert; es handele sich einfach um eine ausgeschmückte ägyptische Version dieser weit zurückliegenden Ereignisse. Diese These ist jedoch nicht haltbar, weil Troja zwar »fiel«, aber eindeutig nicht versank. Man kann es noch heute besuchen und feststellen, daß es fest auf trockenem Boden steht. Damit fällt Troja in dieselbe Kategorie wie Thira - interessante Hypothesen, die schlicht nicht zutreffen. Soll man die bronzezeitlichen Anspielungen also als Methode abtun, dem von Solon geplanten Epos einen dramatischen Kontext zu verschaffen? Eine derartige Verfahrensweise ist bei Schriftstellern und Künstlern häufig genug anzutreffen. So ließen die Maler der Renaissance die Akteure biblischer Szenen oft in »moderner« Kleidung auftreten, und das Musical West Side Story verlegte Shakespeares Romeo und Julia nach New York. War die bronzezeitliche Szenerie von Atlantis ebenfalls die künstlerische Verpackung einer früheren Katastrophe? Möglich wäre es. Doch bevor wir diese Epoche verlassen, ist auf eine sehr enge historische Parallele zur Legende von Atlantis zu verweisen, die erst kürzlich aus dem Dunkel der Vergangenheit aufgetaucht ist. Es handelt sich um die Geschichte von Tantalus, dem König von Lydien, einem Königreich, das ab etwa 680 v. Chr die Hälfte der heutigen Türkei beherrschte, bis es 546 v. Chr. - gerade 19 Jahre vor der Geburt Platons - dem Ansturm persischer Armeen zum Opfer fiel. Der vorletzte König Lydiens war Krösus, bekannt wegen seiner Vorliebe für Reichtum und Luxus. Zu verdanken ist diese Parallele dem Forscher und Buchautor Peter James, der sich angesichts der Mängel aller bisherigen bronzezeitlichen Erklärungen für das Phänomen Atlantis zu einem anderen Ansatz entschloß. Er begann sich mit der Figur des Atlas zu beschäftigen, der als erster König von Atlantis gilt. In der griechischen Mythologie war Atlas nach Westen verbannt worden, dazu verurteilt, auf ewig das Himmelsgewölbe zu stützen. Und dieser westliche Standort ist der Grund dafür, daß in Platons Geschichte der Atlantische Ozean zum Schauplatz wird. James überlegte nun, ob diese Platzierung aus späterer Zeit stammen könnte, da die Schiffe der griechischen Kaufleute erst im 7. Jahrhundert v. Chr. so weit nach Westen vordrangen. Von wo, fragte er, war Atlas verbannt worden? Mit diesem Problem hatte sich offenbar noch kein anderer Wissenschaftler beschäftigt. Der im 5. Jahrhundert v. Chr lebende griechische Dichter Pindar schrieb, Atlas sei »aus Land und Besitz seiner Vorfahren verbannt« worden. Aber wo lag dieses Land?
Bild: Das Rätsel der Sphinx, Michael Baigent  Seite 210
James forschte in sämtlichen frühen Überlieferungen und stellte fest, daß sie ausnahmslos auf Anatolien verwiesen. In der Bronzezeit herrschte in Kleinasien die Zivilisation der Hethiter, in deren Mythologie eine Gestalt auftritt, die wie Atlas den Himmel stützt. An diese hethitische Gestalt könnte auch der griechische Riese Atlas angelehnt sein, denn Kleinasien ist die Quelle für einen großen Teil der griechischen Mythologie. Was den hethitischen Atlas betrifft, so stand er in Zusammenhang mit dem Stierkult: Er wird oft mit Stierkopf dargestellt und mit Hufen anstelle von Händen und Füßen. Für die späteren Lydier, deren Königreich den Westen des einstigen Herrschaftsbereichs der Hethiter einschloß, war Atlas der legendäre König Tantalus, der märchenhaften Reichtum aufgehäuft hatte. James stieß nun auf Texte, in denen eindeutige Parallelen zwischen Lydien und der Geschichte von Atlantis aufscheinen. Der griechische Geograph und Reisende Pausanias verfaßte einen detaillierten Bericht über alle Orte, die er gesehen hatte, und zeichnete dabei auch viele alte Überlieferungen auf, die ohne ihn verloren wären. In einer dieser Überlieferungen ist von einer Stadt auf dem lydischen Berg Sipylus die Rede, die nach einem heftigen Erdbeben in einer Kluft verschwunden sei. Später sei diese Kluft überflutet worden und habe sich in einen See verwandelt. Bei dem römischen Schriftsteller Plinius, der im ersten nachchristlichen Jahrhundert lebte, findet sich ein weiterer entscheidender Hinweis: Diese verschwundene, nach einem Erdbeben versunkene Stadt war die alte Königsstadt Lydiens mit Namen Tantalis. Der Ort ihres Untergangs war zu Plinius' Zeit kein See mehr, sondern Sumpfland. Diese Fakten waren Pausanias offenbar entgangen. Die Parallelen zwischen Atlas/Atlantis und Tantalus/Tantalis sind überdeutlich. Auch die Namen der beiden Hauptstädte ähneln sich verblüffend. Hat James also, wie er glaubte, das Geheimnis von Atlantis gelöst? 1994 reiste er in die Region des alten Tantalis, in die Nähe der heutigen türkischen Stadt Izmir. Es gelang ihm, den wahrscheinlichsten Standort der verschwundenen Stadt zu identifizieren, und zwar nahe am Nordhang des Berges Sipylus, wo alte Karten einen See oder Sumpf verzeichnen. Hinter der Stätte ist ein altes, großes, sehr stark verwittertes Bild der Göttin Cybele in den Felshang gehauen. Die Gottheit blickt über den Ort, an dem einst Tantalis stand. Jetzt muß man nur noch graben. Es ist bekannt, daß Solon im Verlauf seiner Reise nicht nur in Ägypten weilte, sondern auch Lydien besuchte. Möglicherweise hörte er dort die Geschichte von Tantalus, aus der er die Legende von Atlantis schuf. Schließlich schreibt Platon, als Solon sich entschlossen habe, die Geschichte literarisch zu verarbeiten, habe er die Namen ins Griechische übertragen. Hat er aus Tantalus vielleicht Atlas gemacht? Obwohl dies eine plausible Hypothese ist, läßt sie wichtige Probleme ungelöst, besonders die Frage des Standorts von Atlantis. Werfen wir daher also noch einmal einen Blick auf Platons Erzählung. Zwei gewichtige Argumente sprechen dagegen, die Geschichte im Mittelmeer der Bronzezeit anzusiedeln. Zum einen hat Platon Atlantis eindeutig an einem Ort jenseits des Mittelmeers angesiedelt, auf halbem Wege zu einem großen Kontinent. Zum anderen spricht er von einer viele Jahrtausende zurückliegenden Epoche, noch vor der ersten ägyptischen Dynastie, bis zu der das damalige Wissen zurückreichte. Nun darf man nicht erwarten, daß jedes Detail von Platons Erzählung haargenau stimmt, aber sie enthält Aspekte, die ebenso ungewöhnlich wie wahr klingen. Beim ersten dieser Aspekte geht es um außergewöhnliche geographische Kenntnisse - darum, daß Platon beziehungsweise die ägyptischen Priester von Sais von der Existenz Amerikas wußten. Platon schreibt, Atlantis habe jenseits der Säulen des Herakles gelegen, also jenseits des Eingangs zum Mittelmeer. Der Philosoph wußte ebenso wie alle Seeleute seiner Zeit, wovon er sprach; Griechen wie Phönizier stießen auf ihren Handelsreisen schon seit Jahrhunderten über diese Grenze vor. Sie trieben Handel mit den Ansiedlungen an der Atlantikküste Marokkos und mit den Bewohnern von Südengland. Platon behauptet, von Atlantis aus habe es »für die Reisenden damals einen Zugang zu den anderen Inseln« gegeben. Könnte er damit die Westindischen Inseln gemeint haben? Jenseits dieser Inseln, fährt er fort, liege »das ganze Festland gegenüber rings um jenes Meer, das man wahrhaft so bezeichnen darf«. Spricht Platon hier von Amerika, dem einzigen Kontinent jenseits von Gibraltar, erreichbar durch eine Reise über den Atlantik, die an einer Inselgruppe vorbeiführt? War dieses geographische Wissen tatsächlich vorhanden, wäre das ein Hinweis darauf, daß jemand nach Amerika und zurück gesegelt ist und daß Berichte über diese Unternehmung auf dem Umweg über die ägyptischen Priester zu Platon gelangten. Das wirft ein neues Licht auf die Erzählung und läßt vermuten, daß sie einen wahren Kern enthält. Vielleicht segelten schon die Ägypter in einer sehr frühen Epoche ihrer Geschichte über den Atlantik. Herodot berichtet jedenfalls, sie hätten Afrika umrundet, was eine wesentlich längere Reise bedeutet hätte. Ein zweiter Hinweis auf die Gültigkeit der Erzählung bezieht sich ebenfalls auf seefahrerisches Wissen. Platon schreibt, zur Zeit von Atlantis sei »das Meer dort noch befahren« gewesen, jetzt aber könne man es »weder befahren noch erforschen, weil in ganz geringer Tiefe der Schlamm im Wege liegt, den die Insel, als sie sich senkte, zurückgelassen hat«. Diese Worte scheinen Berichte von Seeleuten wiederzugeben; vielleicht lautete so der Rat an jene, die zum ersten Mal nach Westen segelten. Es ist schwierig, diese expliziten Hinweise auf den Atlantischen Ozean, die Westindischen Inseln und den dahinter liegenden amerikanischen Kontinent zu ignorieren. Zumindest dieser Teil von Platons Erzählung muß also stimmen. Bezieht man diese Tatsache auf die Frage, welche geographische Position der versunkene Kontinent von Atlantis gehabt haben könnte, sollten selbst die Befürworter der anatolischen Hypothese sehr nachdenklich werden.
Die eisfreie Antarktis
Jede Beschäftigung mit frühen Kenntnissen der Meere führt zu den mysteriösen Kartenwerken von Piri Re'is (1513) und Orontius Fineus (1531). Erstaunlicherweise stellen diese Karten die Antarktis genauso dar, wie sie ohne ihren mehr als 3000 m dicken Eispanzer aussähe. Man sieht sie also so, wie wir sie erst seit den ausführlichen, mit Hilfe hoch entwickelter technischer Geräte betriebenen Forschungen der 1950er Jahre kennen. Der logische - und augenscheinlich einzig mögliche - Schluß ist, daß diese Karten sich auf die Kenntnisse eines vergessenen Volkes stützten, das erfahrene Seefahrer und Kartographen besaß. Offenbar hat es irgendwann in der unbekannten Vergangenheit der Menschheit eine Kultur gegeben, die auf den Meeren jenseits des Mittelmeers Handel trieb. Welche Bedeutung hat die Existenz dieser Karten nun für die Geschichte von Atlantis? Platon stellt Atlantis als Mittelpunkt eines großen Reiches dar, das auf den seefahrerischen Fähigkeiten seiner Bewohner basierte. Es habe »über zahlreiche andere Inseln des Meeres« jenseits des Mittelmeers geherrscht. Die Hauptstadt von Atlantis selbst habe große künstliche Häfen und Werften besessen, deren steinerne Mauern die Schiffe schützten. Weiter heißt es:
"Die Ausfahrt und der größte Hafen aber waren überfüllt von Schiffen und von Kaufleuten, die aus allen Richtungen herkamen und mit ihrer Menschenmenge Tag und Nacht ein lautes Stimmengewirr und ein vielfältiges Getümmel verursachten."
Das kanadische Ehepaar Rand und Rose Flem-Ath hat die Hypothese formuliert, eine einst eisfreie Antarktis könnte der wahre Standort von Atlantis gewesen sein. Die beiden Autoren verweisen darauf, daß diese Landmasse im Zentrum eines »Weltmeeres« liege, der den Atlantischen, den Indischen und den Pazifischen Ozean verbinde. Im Grunde bildeten diese Meere ja einen einzigen, vom amerikanischen und afrikanischen Kontinent zerteilten Ozean. In diesem Sinne habe Platon auch von einem »wahren« oder »wirklichen« Meer jenseits der engen »Säulen des Herakles« geschrieben. Verglichen mit diesem »wirklichen« Ozean, schreibt der Philosoph, erscheine das Mittelmeer »wie eine Hafenbucht mit einer engen Einfahrt«. Dies ist eine sehr zutreffende Beschreibung, wenn man es aus der Perspektive des Atlantischen Ozeans betrachtet. Für einen Griechen des 4. Jahrhunderts v. Chr. ist eine derartige Aussage ganz außergewöhnlich - in jener Zeit lag das Mittelmeer im Herzen der bekannten Welt, und daß es so geschmälert wurde, verweist erneut auf die Qualität und die Bedeutung des nautischen Wissens, zu dem Platon und Solon Zugang hatten. Die Flem-Aths meinen, das Ende von Atlantis sei mit jenem katastrophalen Schmelzen der Eiskappen gekommen, das große Flutwellen über das »Weltmeer« gesandt hätte. Diese plötzliche Ausbreitung kalter Wassermassen habe zu einem rapiden Abfall der globalen Temperatur geführt und zu einer plötzlichen Frostperiode. Zum Beleg dafür verweisen sie auf in Sibirien entdeckte Mammuts, die mit frischem Gras im Magen erfroren seien. Dasselbe Schicksal habe auch alles Leben in der Antarktis ereilt. Die Überlebenden hätten sich in der ganzen Welt verstreut und ihr Wissen über Ackerbau, Architektur und Astronomie als Gabe mitgebracht. Diese Hypothese hat jede Menge schier Ungeheuerliches zu bieten - nur keine harten Fakten. Vielleicht sollten diese einem so herrlich ketzerischen Einfall auch nicht im Wege stehen. Allerdings könnte es solche harten Tatsachen geben - die Flem-Aths meinen, man müsse in der Antarktis mit archäologischen Grabungen beginnen; tief unter dem Eis könnten ja die im ewigen Frost erhaltenen Überreste einer großen Stadt zu finden sein. Bei solchen Aussichten möchte man sofort zum Scheckbuch greifen. Oder lieber doch nicht?
Ein letzter Ort ist noch in Betracht zu ziehen, und dieser befindet sich tatsächlich dort, wo Platon seinen Kontinent Atlantis ansiedelte. Seltsamerweise scheint diese Spur in letzter Zeit politisch nicht mehr opportun zu sein, selbst unter jenen Forschern, die sich am Rande des wissenschaftlichen Mainstream bewegen. Nach Platon lag die Insel inmitten des Atlantiks, bevor man die Inseln (der Karibik) und den Kontinent (Amerika) erreichte; ihr Nordende lag auf Höhe der Straße von Gibraltar. Seit langem ist bekannt, daß eine gewaltige Kette unterseeischer Berge sich von Island bis hinab in den Südatlantik erstreckt: der Tausende von Kilometern lange Mittelatlantische Rücken. An manchen Stellen durchstoßen die höchsten Gipfel dieser Bergkette die Wasseroberfläche; sie bilden etwa die Azoren und die Inseln Ascension und Tristan da Cunha. Wenn Atlantis eine große mittelatlantische Insel war, so hätte sie bestimmt auf einem Teil dieser Kette gelegen. Problematisch daran ist, daß nichts auf ein Absinken des Rückens hinweist - er ist eher im Steigen begriffen. Es gibt natürlich noch eine andere Betrachtungsweise: Vielleicht ist nicht das Land versunken, sondern das Meer gestiegen. Wie im letzten Kapitel geschildert, stieg der Meeresspiegel am Ende der letzten Eiszeit, also um 8000 v. Chr., auf ebenso dramatische wie katastrophale Weise. Dieses Ereignis liegt zeitlich nicht allzu weit von Platons Datum für die Zerstörung von Atlantis entfernt. Wir haben auch gesehen, daß von Fischern auf dem Festlandsockel vor den Vereinigten Staaten gefundene Tierzähne darauf hinweisen, daß der Anstieg des Pegels mehr als 120 m betrug. Seit über 100 Jahren durchgeführte Tiefenmessungen haben es der Ozeanographie erlaubt, genaue Karten des Meeresgrundes zu erstellen. Auf ihrer Basis kann man berechnen, bis wohin das Festland zu Zeiten eines gesunkenen Meeresspiegels gereicht haben dürfte. Die Azoren waren immer schon eine bevorzugte Wahl für die Lage von Atlantis, da eine große Insel in ihrer Position sich auf Höhe der Straße von Gibraltar befunden hätte, genau wie in der Darstellung Platons. Eine gewisse Unterstützung erfährt diese Hypothese durch die seismische Aktivität der Region. Seit 1522 ein größeres Erdbeben verzeichnet wurde, hat es 16 weitere starke Beben gegeben. Das stärkste ereignete sich 1757 und dürfte die Stärke 7,4 auf der Richterskala erreicht haben. Betrachten wir die Azoren auf der Karte, wird eine Reihe von Fakten deutlich. Zum einen fallen die Inseln ebenso steil ins Meer ab, wie sie aus ihm emporsteigen. Die Azoren sind also die Gipfel sehr hoher Berge, die mehr als 6000 m aus den tiefsten »Ebenen« des Meeresgrundes emporragen. Zum anderen würde bei einem Absinken des Meeresspiegels um mehr als 120 m eine wesentlich größere Landfläche zum Vorschein kommen. Die zentralen Inseln Pico und Faial wären vereint, die meisten anderen Eilande doppelt so groß wie heute. Darüber hinaus würden bis zu zehn neue Inseln erscheinen, die zwar nicht sehr groß wären, aber einen umfangreichen Archipel entstehen ließen. Er wäre wahrscheinlich ein angenehmer Aufenthaltsort, kommt Platons Beschreibung von Atlantis aber leider nicht sehr nahe. Vielleicht ist es von Bedeutung, daß die Azoren auf der bereits erwähnten Karte von Piri Re´is aus dem Jahr 1513 am geographisch korrekten Ort eingetragen sind, daß dort statt der heute vorhandenen neun kleinen Inseln 17 teilweise recht große Eilande sichtbar sind. Das größte ist zehnmal größer als die heute größte Insel Sao Miguel und damit etwa so groß wie Zypern. Bietet diese Karte eine genaue Darstellung der Azoren vor der großen Flut, also aus der Zeit vor 8700 bis 9000 v. Chr.? Es scheint sehr wahrscheinlich. Wenn die Azoren eine einzige Insel bilden sollen, müßte der Meeresspiegel um etwa 1800 m fallen. Dann würde tatsächlich eine extrem große Landfläche entstehen. Auch ein bescheideneres Absinken um 900 m würde viel Land zum Vorschein bringen, doch die Azoren wären weiterhin eine Inselgruppe. Natürlich ist es auch möglich, daß ein gewaltiges Erdbeben das Land zum Sinken brachte. Hätte ein solches Ereignis tatsächlich stattgefunden, wären die Azoren zweifellos der beste mögliche Ort für Atlantis im gesamten Atlantik. Im restlichen Atlantischen Ozean ergeben sich keine weiteren Möglichkeiten. Zwar ist das Meer auch an anderen Stellen des Mittelatlantischen Rückens relativ seicht, doch diese »Untiefen« liegen immer noch mindestens 900 m unter der Wasseroberfläche. In Frage kämen ferner die so genannten Meereskuppen zwischen dem Rücken und dem afrikanischen Kontinent. Manche von ihnen liegen in einer Tiefe von lediglich 20 m. Bei einem Absinken des Meeresspiegels würden sie sicher zum Vorschein kommen, doch die entstehenden Inseln wären zu klein. Unweit der Straße von Gibraltar ergibt sich schließlich doch eine Situation, die Platons geographischen Angaben zumindest teilweise entsprechen würde. Würde der Meeresspiegel auf sein eiszeitliches Minimum absinken, breiteten sich vor der heutigen atlantischen Küste Portugals, Spaniens und Marokkos 50 km breite Landflächen aus. Allein im Golf von Cadiz und vor Nordmarokko entstünden zusätzliche 20 000 km² bewohnbarer Küstenebenen. Die Straße von Gibraltar würde zu einem schmalen, etwa 100 km langen Kanal mit zwei kleinen Inseln an seinem atlantischen Eingang. Knapp 500 km weiter westlich entstünde an der Stelle der heutigen Gorringebank eine größere Insel, vielleicht vom Umfang des heutigen Menorca. Dieses Gebiet liegt jetzt im Wasser, das an manchen Stellen jedoch nur 20 m tief ist. Der rapide Anstieg des Meeresspiegels am Ende der letzten Eiszeit hätte die weiten Ebenen zu beiden Seiten des schmalen Kanals von Gibraltar der Verwüstung preisgegeben. Dabei hätte der Eingang zum Mittelmeer leicht von hoch aufgetürmtem Schlamm blockiert werden können - eine Erklärung für die von Platon erwähnten unpassierbaren Schlammbänke jenseits der Straße. Die Überlebenden der Flut wären geflohen und hätten die Geschichte der Katastrophe in ihrem Gedächtnis bewahrt. So wäre die Geschichte in die orale Überlieferung jener Länder gelangt, in denen sie Zuflucht fanden. Im Rahmen dieser Überlieferung aber wäre sie schließlich Solon zu Ohren gekommen. Hätte in der betreffenden Region aber überhaupt ein technisches Wissen existieren können, das Platons bronzezeitlichem Szenario entspräche? Interpretieren wir seinen Text einfach als Beschreibung einer frühen, aber komplexen Gesellschaft, ist das durchaus plausibel. Die städtische Zivilisation von Catal Hüyük war fortgeschritten genug und wird doch auf mindestens 8000 v. Chr. datiert. Und wie wir sehen werden, vollendeten die Erbauer der Sphinx ihr Werk zwar Jahrtausende vor dem offiziellen Beginn der Bronzezeit, doch fehlte es ihnen kaum an technischen Fertigkeiten. Sie verfügten vielleicht nicht über Metall, besaßen aber alles andere, was eine Kultur braucht - ein Wissen über Astronomie, Mathematik und Architektur. Am Ende könnte Atlantis zu mysteriös und enigmatisch sein, um in den üblichen bronzezeitlichen Kontext gestellt zu werden. Vielleicht hat Solon angemessen reagiert, als er den Wunsch verspürte, ein großes Epos aus der Geschichte zu erschaffen. Doch trotz seines direkten Kontaktes mit der Quelle der Legende sah er sich nicht in der Lage, sie angemessen zu behandeln, so daß er sie an einen anderen weitergab, der sie vollenden sollte. Es sieht so aus, also müßte uns die Wahrheit über Atlantis vorläufig verborgen bleiben. Plausibel ist jedoch der Gedanke, daß diese Geschichte - zusammen mit anderen, womöglich von jenseits des Atlantik stammenden Elementen - eine Erinnerung an die Flut am Ende der Eiszeit darstellt. Die Aufmerksamkeit muß sich auf das versunkene Festland jenseits der Straße von Gibraltar richten, in dem wir eine aktive Bevölkerung vermuten können. Der russische Altphilologe V. Kudriawtsew hat sogar auf ein Gebiet am Rand des Festlandssockels in der Nähe der Scilly-Inseln verwiesen. Allerdings kann auch ein ebenso gewaltiges wie katastrophales Erdbeben im Atlantik nicht völlig ausgeschlossen werden. So entfernt diese Möglichkeit scheinen mag, sie ist nicht völlig von der Hand zu weisen, und dies würde die Azoren ins Spiel bringen. Denn es scheint, als verwiesen Platons Worte über den »wirklichen« Ozean und die Begrenztheit des Mittelmeers unausweichlich auf den Atlantischen Ozean als Kern der Geschichte von Atlantis. Im Grunde kommt kein anderer Ort in Frage.

Quelle: Das Rätsel der Sphinx von Michael Baigent, ISBN:3-8289-4891-X, 1998, Bechtermünz
Seite: 199 - 224